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Die Kunst des Yoga-Sequencing

Ein Gespräch mit der Iyengar Yoga Lehrerin und Illustratorin Svenja Karstens.



Sequencing, also das bewusste Aneinanderreihen von Yoga-Haltungen, ist neben dem Alignment, der korrekten Ausrichtung des Körpers in den Haltungen, ein wesentliches Merkmal des Iyengar Yoga. Der Begründer BKS Iyengar (1918-2014), der die organische, physische und mentale Wirkung jedes Yoga-Asanas auf die Yoga-Übenden sein ganzes Leben lang studiert und klassifiziert hat, konnte dadurch Yoga-Sequenzen zur Linderung unterschiedlicher gesundheitlicher Problem und für jede Lebenslage erstellen. Da beispielsweise der Kopfstand (sirsasana) erhitzend auf den Körper wirkt und der Schulterstand (sarvangasana) kühlend, wird im Iyengar Yoga der Kopfstand innerhalb einer Sequenz stets vor dem Schulterstand geübt, um am Ende der Übungspraxis einen ausgeglichenen Zustand von Körper und Geist zu erlangen.


Svenja Karstens, zertifizierte Iyengar Yoga Lehrerin und studierte Illustratorin, hat vor vielen Jahren begonnen, für ihr eigenes Üben die Sequenzen von Asanas zu zeichnen, um sich die Haltungen und ihre Abfolge visuell vor Augen zu führen. Mittlerweile werden ihre, auf den Prinzipien des Iyengar Yoga basierenden Sequenzen weltweit von Zehntausenden Yoga-Praktizierenden geübt und mit großer Begeisterung geteilt.

An einem sonnigen Wintertag im Januar habe ich Svenja in Berlin zu einem wirklich inspirierenden Gespräch getroffen über Yoga, Sequencing und Teilen auf Social Media.




Claudia Lamas Cornejo: Woher nimmst du deine Inspiration für deine Yoga-Sequenzen?


Svenja Karstens: Seit vielen Jahren übe ich immer wieder die von BKS Iyengar zusammengestellten Wochenkurse im Anhang seiner Publikation „Licht auf Yoga“. Die Sequenzen sind wundervoll, auch wenn man die Asana-Abfolgen so nicht unbedingt aus dem wöchentlichen Unterricht bei seinen Lehrern kennt. „Licht auf Yoga“ ist in einer bestimmten Zeit und Entwicklungsphase von Iyengar entstanden und er hat in späteren Jahren Wissen hinzugefügt und auch einiges von damals abgeändert. Sein tiefes Verständnis und seine Liebe für Yoga sind in den Sequenzen nachzuempfinden. Er beginnt ab dem zweiten Kurs fast alle Sequenzen mit den Umkehrhaltungen und ihren Variationen, so übt man gleich zu Beginn eine halbe Stunde oder länger den Kopf- und Schulterstand. Das an sich kann als voll-kommene Sequenz angesehen werden oder als Vorbereitung für Vorwärtsstreckungen, Rückbeugen, Drehungen oder Stehhaltungen.

Die zweite Quelle für meine Sequenzen ist das eigene Üben. Aus dem Prozess des Übens entwickelt sich eine Sequenz. Erscheint diese mir harmonisch, intelligent oder bereichernd, halte ich sie fest und teile sie später.

Ebenso inspirierend finde ich die Beiträge anderer Iyengar Yoga Lehrerinnen und Lehrer, welche ihre Liebe und Leidenschaft für Yoga und das Unterrichten teilen. Mitgefühl und Sensibilität, der Klang oder Tonfall der Stimme, Timing in den Haltungen und Sequencing, die Achtsamkeit, das selbst Durchlebte, die empfundenen Worte, die Philosophie und das anatomische Wissen, alles das spielt eine Rolle und inspiriert mich bei anderen.





CLC: Wie gestaltest du dann deine eigene tägliche Übungspraxis: Legst du dir vorher etwas, was du gesehen hast zurecht oder fängst du einfach an und lässt dich leiten?


SK: Das ist unterschiedlich. Manche Tage lege ich mir eine Sequenz von „Licht auf Yoga“ oder anderen Lehrern zurecht und übe diese bestimmte Sequenz nach oder aber ich übe mit einem Lehrer oder mit einer Videoaufzeichnung eines entsprechenden Lehrers. An anderen Tagen übe ich frei alleine was kommt, ohne dass ich vorher darüber nachdenke. Das geschieht intuitiv und ist entstanden durch eine lange Übungspraxis. Vor einigen Wochen bin ich mit Schmerzen am Schulterblatt aufgewacht und habe dementsprechend geübt, um die Schmerzen zu lindern. Da haben mir stärkende Armbewegungen wie Urdhva Hastasana, Paschima Namaskarasana und Gomukhasana sowie Rückwärtsstreckungen über einem Stuhl geholfen.


CLC: Ich erinnere mich an den post, da hattest du, sehr untypisch, eine Jeans Hose an…


SK (lacht): Ja, stimmt! Ich bin aufgewacht, habe mich angezogen und dann doch spontan angefangen zu üben. Es war so erleuchtend und schön für mich und hat mir in diesem Moment sehr geholfen und die Hose hat mich tatsächlich nicht gehindert. Daher habe ich im Anschluss an das eigene Üben eine Aufzeichnung gemacht, um meine Erfahrung zu teilen. Es ist meistens sehr spontan.




CLC: Wie näherst du dich Asanas an, die zu den sehr Fortgeschrittenen zählen und kaum in wöchentlichen Klassen unterrichtet werden?


SK: Zu einem Teil alleine. Es gibt viele Asanas die unterrichtet werden und wunderbar vorbereiten, danach mache ich die weiterführenden Schritte alleine. Gandha Bherundasana zum Beispiel habe ich über mehrere Monate geübt und es nur kurz gehalten, da es sehr anstrengend war. Ich schaue mir die Form eines Asanas an und überlege, welche Asanas eine ähnliche Form haben und mich vorbereiten können oder ich nutze Hilfsmittel wie bei Gandha Bherundasana die Wand oder Klötze, um mich dem Asana zu nähern.

Manchmal übe ich fortgeschrittene Rückbeugen länger nicht, dennoch entwickelt sich ein bestimmtes Asana weiter, ohne dass man speziell dieses übt, einfach durch die Arbeit in allen anderen Stellungen. Dann ist es ein schönes Wunder, wenn man es wieder übt und mit einem Mal eine ganz andere Leichtigkeit, Öffnung und Weichheit erfährt. Der Atem geht ruhiger, man fühlt tiefer und kann länger verweilen.





CLC: Hast du zurzeit einen Guru oder Lehrer_innen?

SK: Einen Guru habe ich nicht. Ich bin dankbar für alle Lehrerinnen und Lehrer, die ihr Wissen und ihre Liebe für Yoga teilen. Lange Zeit hatte ich eine Lehrerin, welche viele Jahre am Institut in Pune bei Geeta und BKS Iyengar assistiert hat. Es war sehr schön, eine Lehrerin vor Ort zu haben, von der ich sehr viel gelernt habe. Dann gab es eine Zeit, in welcher ich viel alleine geübt habe.

Im Moment bin ich glücklich, wieder jemanden gefunden zu haben mit dem ich übe und lerne und den ich sehr schätze als Lehrer und Mensch.



CLC: Deine Sequenzen und Posts finden weltweit großen Anklang und auf Instagram bist du eine der Iyengar Yoga Lehrerinnen mit den meisten Abonnenten – gibt es Fragen und Feedback welches dich aus dem Kreis dieser Yoga-Übenden zu deinen Sequenzen und Übungstipps erreicht?


SK (lacht): Es ist schön und manchmal überraschend, dass Yoga-Übende aus meinen geteilten Erfahrungen Nutzen ziehen können. Besonders beglückend und Freude schenkend ist es, wenn mir jemand schreibt und seine Erfahrung mitteilt. Dann ist es beides ein Geben und Empfangen. Es ist ein Austausch und Dialog, der trotz der Entfernung und der Tatsache, dass man sich nicht persönlich kennt, direkt und unmittelbar ist. Dieser Austausch macht die Arbeit lebendig. Die Fotos und Illustrationen, auch eine Art Tagebuch und Erinnerung, gründen auf einer beiderseitigen Inspiration. Ich sehe etwas bei jemand anderem und probiere es in meinem Üben aus. Andersherum erreichen mich Fragen zu Bildern die ich poste, die mich dann veranlassen, eine bestimmte Haltung aus der Perspektive dieser anderen Person zu sehen und anzugehen. Fragen und Feeback sind mir willkommen. So entstanden sehr tolle und fruchtbare Projekte mit anderen Lehrerinnen und Lehrern und Interessierten, die Yoga-Sequenzen oder Yoga-Portraits in Auftrag gaben.


Insgesamt erreicht mich als Reaktion Dankbarkeit auf die Sequenzen,

bei welchen ich stets ihren Ursprung angebe, zum Beispiel welche von BKS Iyengar sind und welche ich selbst für eigene Probleme oder Probleme aus meinem Umfeld erarbeitet habe, so ist deutlich, dass es sich um Vorschläge handelt, die angepasst oder verändert werden können.




CLC: Was ist dein Anliegen, dein Wunsch, den du mit deiner Arbeit, der Illustration von Yoga-Asanas und Yoga-Sequenzen verbindest?


SK: Es ist eine gegenseitige Inspiration. Der Wunsch nach Verbindung und voneinander zu lernen, aus Liebe zu teilen und weiterzugeben. Dieser Austausch macht lebendig und hierfür können wir die technologischen Möglichkeiten unserer Zeit gut nutzen. Ich fand es schon zu Zeiten meiner Ausbildung schön, eine Sequenz visuell vor Augen zu haben. Es hat mein Üben und auch das Unterrichten inspiriert. Ich wünsche allen, die meine Sequenzen sehen, Freude und Inspiration damit.



Claudia Lamas Cornejo: Vielen Dank!


Svenja Karstens: Danke dir, Claudia, für diese Gelegenheit und deine Offenheit.



Fotos & Zeichnungen: Copyright Svenja Karstens 2022.

 


Svenja Karstens wurde in Hamburg geboren. Nach dem Studium des Illustrationsdesign und der Bildenden Kunst, entdecket sie 2008 nach der Geburt ihres zweiten Kindes wieder die Praxis des Yoga. „Yoga wurde mein Instrument, wie ein Musiker sein Instrument findet, wurde Yoga zu meinem Instrument, dem inneren Wesen Ausdruck zu verleihen“. Svenja hat 2016 die Ausbildung zur Iyengar Yoga Lehrerin abgeschlossen und im Oktber 2019 die Zertifizierung zum Junior Inter-mediate I nach Fortbildungen unter anderem betreffend Yoga während der Schwangerschaft erhalten. Seit 2018 unterrichtet sie in eigenen Räumen in Berlin.








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